Eine Bewertung zur Mangelhaftigkeit einer Bauleistung ergibt sich auch für uns Bausachverständige nicht immer auf den ersten Blick. Um eine Bewertung vornehmen zu können, gilt es einige Grundlagen und Regeln zu beachten. Und doch bleibt auch nach eingehender Prüfung manchmal ein Bewertungsspielraum.
Wodurch definiert sich der Mangelbegriff?
1. Was war vereinbart?
Laut BGB §633 definiert sich ein Mangel als Abweichung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit. Selbst wenn eine qualitativ höhere als vertraglich vereinbarte Ausführung vorliegt, kann ein Mangel aus der Nichterfüllung des Vertrages vorliegen.
2. Ist das Bauteil für die gewöhnliche / übliche Verwendung geeignet?
Es liegt ebenfalls ein Mangel vor, wenn die laut Vertrag geschuldete Verwendungseignung und zu erwartende Beschaffenheit nicht gegeben ist. Dies kann im Fall der oben verbildlichten, bestellten Sichtbetonfassade bei erheblichen betonkosmetischen Nacharbeiten und Verlust der Sichtbetonqualitäten der Fall sein.
3. Wurden die allgemein anerkannten Regeln der Technik (a. a. R. d. T.) nicht eingehalten?
Auch in der Abweichung von allgemein anerkannten Regeln der Technik liegt ein Mangel begründet. Bei einer Sichtbetonfassade ergibt sich dies z. B. bei einer Abweichung von Ebenheit- und Winkelabweichungen. Übliche Toleranzen im Hochbau definiert die DIN 18202. Auch in mangelhaften Betonzusammensetzungen, die die übliche Lebensdauer von Betonbauteilen von 50 Jahren nicht erwarten lassen, kann ein Mangel begründet sein.
Wie lässt sich der Mangel vor Ort erfassen?
Ebenheiten und Winkelabweichungen können messtechnisch erfasst werden. Zudem ist in optischer Hinsicht festzustellen, wie wahrnehmbar eine Abweichung von gewünschten Oberflächenqualitäten ist. Die Wahrnehmbarkeit wird von der Belichtung beeinflusst. Begutachtungen sollten bei diffusen Lichtverhältnissen und nicht unter Streiflicht erfolgen. Jedoch sollten die Bewertungen auch bei üblichen Belichtungssituationen erfolgen, d. h. wenn die Streiflichtsituation durch fest installierte Beleuchtungen oder über den Tag langandauernde Lichtverhältnisse infolge von Besonnung regelmäßig über mehrere Stunden gegeben ist und die übliche Betrachtung abbildet, kann diese bewertungsrelevant werden. Insbesondere bei Lichtinstallationen ist es wichtig, das Planer und Ausführender vor der Herstellung der Flächen in Kenntnis hierüber sind.
War der Mangel vermeidbar?
Sichtbetonherstellung erfordert eine qualitativ hohe und anspruchsvolle handwerkliche Ausführung. Für Sichtbeton werden i. d. R. vertraglich zu erstellende Sichtbetonklassen (SB1 – SB4) definiert. Diese sind im DBV/BDZ-Merkblatt „Sichtbeton“ definiert. SB 3 und SB 4 sind Betonflächen mit hohen bzw. besonders hohen gestalterischen Anforderungen und Repräsentationscharakter. Und doch ist auch hier das technisch Machbare zu berücksichtigen. Für SB 3 und 4 sollten im Vorfeld der Erstellung großer Sichtbetonflächen Erprobungs- / Musterflächen angelegt werden. Doch auch danach ist eine völlige Übereinstimmung mit den Musterflächen später nicht möglich. Auch SB 3 oder SB4 werden bei hoher Ausführungssorgfalt nicht selten Nacharbeiten veranlasst. Beschränken sich notwendige Nacharbeiten auf max. 15 % der Fläche gilt dies i. d. R. als hinnehmbar / tolerabel. Es gibt jedoch auch neue Ansätze der Bewertung von Hinnehmbarkeiten, die gewissen Unregelmäßigkeiten der Oberflächenstrukturen, z. B. Farbabweichungen als gestalterisches, betongegebenes Merkmal akzeptieren [1]. Völlig einheitliche Ansichtsflächen mit einheitlicher Porenstruktur und Farbtönungen beispielsweise sind nicht herstellbar [1].
Wie kann der Mangel beseitigt werden?
Sichtbetonmängel können durch „Betonkosmetik“ kaschiert werden. Häufig führen diese jedoch zum Verlust des eigentlichen Charakters einer echten Sichtbetonoberfläche. Die Nacharbeiten bleiben in der Regel erkennbar. Insbesondere nach Niederschlägen zeichnen sich die oberflächig nachgearbeiteten Stellen aufgrund ihres abweichenden Saugverhaltens häufig abweichend zu den originären Betonoberflächen sichtbar ab. Unterschiedliche Feuchtegehalte führen hierbei zu unterschiedlichen Ablagerungen und Verfärbungen, was zu länger anhaltender optischer Wahrnehmbarkeit der Sanierungen führt. Egalisierend werden darum häufig Anstriche / Hydrophobierungen aufgetragen. Diese sind jedoch nicht so dauerhaft, wie dies eine reine Sichtbetonoberfläche wäre. D. h. sie müssen mehrmals innerhalb der für Beton anzusetzenden Lebensdauer von 50 Jahren erneuert werden. Dies ist mit Kosten verbunden und kann als Minderwert bewertet werden.
Sollen aus optischen Gründen Nacharbeiten veranlasst werden, sollte deren Erfolg anhand von Musterflächen geklärt werden (s. [2], Kap. 7.4).
Verbleibt ein Minderwert im Belassen oder nach dem Sanieren?
In frühere bausachverständige Bewertungen von Minderwerten flossen neben der vereinbarten Qualität auch der Einfluss auf Gebrauchs- und Geltungswert, die Lage, Menge und Qualität einer Nachbesserung mit ein. Zudem wurden durch Bausachverständige Mangelbeseitigungs- bzw. Instandhaltungskosten über die Lebenszeiten ermittelt. Nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 22.02.2018 – VII ZR 46/17 sind für die Ermittlung von Minderwerten nun Wertermittler hinzuzuziehen, die eine tatsächliche Wertminderung in Bezug auf den Verkehrswert des Objektes berechnen.
Wie lassen sich Mängel vermeiden?
Vor einer Baumaßnahme sollte die Bauherrenschaft über Machbares und Hinnehmbares informiert werden. Vertragliche Vereinbarungen sollten schriftlich erfolgen und den Umgang mit den auch bei sorgfältiger Ausführung nicht gänzlich vermeidbaren Abweichungen definieren. Besser ist es, die zu erwartende Qualität an ausreichend großen Probestücken oder im besten Fall an bereits ausgeführten Sichtbetonarbeiten vergleichbarer Art zu definieren, um spätere Abweichungen zwischen der Vorstellung des Bestellers und der erbrachten Leistung des Ausführenden zu vermeiden.
[1] Zukunft Bau; BBSR-Online Publikation (Hrsg.); Prof. Zöller; Abel, Liebert; Sous: Hinzunehmende Unregelmäßigkeiten, 11/2024
[2] DBV/VDZ Merkblatt: Sichtbeton, Heft 47, 4/2022