Exkurs Bautechnikgeschichte: Nachhaltigkeit und Holzsparbauweisen im 19. Jahrhundert am Beispiel der Bohlenbinder – Was können wir aus der Geschichte lernen?

Bohlenbinder des Architekten Philibert de l´Orme 1561

Wie entstand die Nachhaltigkeitsidee?

Der Begriff der Nachhaltigkeit geht auf die Forstwirtschaft zurück. Hans Carl von Carlowitz war es, der 1713 sein Buch Sylvicultura Oeconimca zum ökologischen Waldbau veröffentlichte. Carl von Carlowitz war Leiter des Oberbergamtes im sächsischen Freiburg. Für den Bergbau, den Abbau der Bodenschätze Eisen, Kohle und Silber und deren weiteren Nutzung wurde viel Holz benötigt, mehr als die Wälder auf absehbare Zeit zur Verfügung stellen konnten und auf natürliche Weise nachwuchs. Carlowitz riet in seiner Schrift zur planmäßigen Aufforstung, so dass Holzverbrauch und Regeneration der Wälder im Gleichgewicht stehen und eine beständige, nachhaltige Nutzung der Wälder möglich wurden.

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ war geboren.

Doch bis zur großflächigen Umsetzung der nachhaltigen Forstwirtschaft ging Zeit ins Land. Erst 1775 erschien die weltweit erste Forstordnung in Weimar, kurz vor Beginn der Industrialisierung und damit einer Zeit, die Unmengen von Holz in Form von Holzkohle zur Eisengewinnung in Hochöfen benötigte.

Holz war knapp im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert und doch bildete es eines der wichtigsten Baumaterialien der Zeit. Für Neubau und Weiterbau wurde viel Holz benötigt. Der Fachwerkbau war eine der am weitesten verbreiteten Bauformen auf dem Land und in den Kleinstädten. Holz verbarg sich in Decken und Dächern der Städte.

Innovation aus Materialnot – Propagierung von Holzsparbauweisen im 19. Jahrhundert

Die Holznot veranlasste gebildete, innovative und engagierte Architekten wie den Mitbegründer der Berliner Bauakademie, einer der 1. Bauhochschulen Deutschlands, und Geheimen Oberbaurat der preußischen Bauaufsicht David Gilly dazu, neue Bauweisen zu entwickeln bzw. alte Bauweisen wiederzuentdecken und zu verbreiten, so z. B. auch die Bohlenbinderbauweise.

Die Bohlenbinderbauweise nutzt kurze schmale Bretter / Bohlen und verbindet diese durch Nagelung zu langen bogenförmig gekrümmten Bindertragwerken. Seitlich gehalten und vor dem Ausknicken bewahrten sie die auf Druck- und Zug beanspruchbaren Querriegel, dem „Erfinder“ der Bauweise Philibert de l´Orme nach: les liernes, die Liernen.

De l´Orme sprach diesen Spannweiten bis 70 m zu, verwirklichte aber nur wenige Dächer in der Bauweise und diese mit deutlich geringeren Spannweiten. Größter und bekanntester Bohlenbinderbau war die 1782/83 errichtete Pariser Halle au Blé, mit einer Spannweite von ca. 38 m, welche die Bauweise über Ländergrenzen wieder ins Gedächtnis rief.

David Gilly propagierte die Bauweise in mehreren Veröffentlichungen. Zusammen mit Kollegen wurden Probebauten errichtet, um Dauerstand, Verformungen und Tragfähigkeiten zu erproben. Zeitgleich beschäftigte sich Gilly mit weiteren Ersatzbaustoffen.

Die Bauweise ermöglichte die Nutzung von Hölzern, die für übliche Bauanforderungen nicht geeignet schienen, große Längen zu überspannen. Es konnten kurze Holzstücke, schmale Querschnitte, Rest- oder Altstücke zur Anwendung gelangen. Auch der Aufwand der Transporte wurde durch kleinteiligere Bauteile reduziert.

Die Bohlenbinderbauweise kam in Deutschland im beginnenden 19. Jahrhundert vermehrt beim Bau von Brücken oder Überdachungen von Hallen und Sälen, z. B. des Anatomischen Theaters der Tierarzneischule auf dem Gelände der Charité in Berlin, der Hochofenhalle in Peitz u. v. m zur Anwendung. Nur wenige der Konstruktionen haben den Lauf der Zeit überstanden.

Sie konnte sich aufgrund der aus Holzspargründen häufig fragilen, weichen Binder nicht weiter verbreiten bzw. wurden im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung von der Entwicklung neuer Tragwerksformen wie Fachwerkbindern, Leimbindern u.a. überholt, die ebenfalls mit kleinteiligen Hölzern, auskamen.

Was lernen wir aus der Vergangenheit?

Der Nachhaltigkeitsgedanke ist alt. Krisen machen kreativ und schaffen Innovationen. Neue Bauweisen brauchen Fürsprecher und Aufgeschlossenheit auch in Kreisen der Bauaufsicht. Bauteilprüfungen helfen, Baufortschritt und die Einführung neuer, innovativer Bauweisen zur Anwendung zu bringen. Materialeinsparung und Wiederverwendung von Baustoffen ist keine neue Aufgabe.

Im Zuge der anstehenden UmBauwende und der Erreichung der gesteckten Klimaziele stehen wir vor ähnlich großen Aufgaben im Bauwesen, wie zu Zeiten der Industrialisierung.

Wir müssen den Verbrauch neuer Materialen senken, Baustoffe wieder- und weiterverwenden. Hierbei haben Alterung, Materialveränderungen und Schäden Einfluss auf Restlebensdauern.

Diese sind vor der Wiederverwertbarkeit durch Bausachverständige, Re-Use-Experten, Tragwerksplaner, Materialprüfer und Schadstoffbewerter festzustellen und zu bewerten, damit sie auf Plattformen wie Madaster, Restado, Concular wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden können.

Und ggfs. brauchen wir dann auch wieder neue konstruktive Lösungen für kleinteiligere – im Sinne von C2C – lösbarere und zusammengesetzte Bauteile. Der Trend ist auch bei der Entwicklung neuer Holzbauverbindungssysteme bereits ablesbar.

Sie interessieren sich für Bautechnikgeschichte und historische Bauweisen? Die Gesellschaft für Bautechnikgeschichte bietet Ihnen hierzu spannenden Austausch!

Quellen:

Kehnel: Wir konnten auch anders: Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit, 2021

Philibert de l´Orme: Nouvelles inventions pour bien bastir et a petits fraiz, trouvées n’agueres par Philibert de L’orme, Lyonnois, Architecte, Conseiller & Aulmonier ordinaire du feu Roy Henry, & Abbé de St Èloy les Noyon frais, 1561

David Gilly: Ueber die Erfindung, Construction und Vortheile der Bohlen-Dächer, 1797

David Gilly: Von den Bohlendächern überhaupt, 1798

David Gilly: Anleitung zur Anwendung der Bohlen-Dächer bey ökonomischen Gebäuden und insbesondere bey den Scheunen, 1801